This is where we draw the line!

Abstand halten zu Hygiene-Demos
Keine Frage. Es gibt gute Gründe, gegen aktuelle und vergangene staatliche Maßnahmen im Zuge der Coronakrise zu protestieren. Etwa, wenn die Polizei Demonstrationen für die Evakuierung der Lager auf den griechischen Inseln gewaltsam auflöst, obwohl diese mit ausreichendem Abstand und mit Mundschutz durchgeführt wurden.

Auch ist es bedrohlich, wenn die Polizei die gesellschaftliche Normvorstellung einer sogenannten Kernfamilie in den Parks und auf der Straße durchsetzt. Es ist gefährlich, wenn die Regierung über Immunitätsausweise nachdenkt, die Diskriminierung Vorschub leisten. Es macht fassungslos, wenn unter die versprochenen Rettungsschirme vor allem Großkonzerne passen, die gleichzeitig Menschen in Kurzarbeit schicken und trotzdem Boni und Dividenden ausschütten. Wir sind wütend, weil vor der Krise noch die Anzahl der Krankenhausbetten gesenkt wurde und die Profitorientierung im Gesundheitssystem immer weiter voranschreitet. Die Gesundheit aller kann so nicht geschützt werden.

Das System ist gemein, aber nicht geheim
Die Krise verschärft die bestehenden sozialen Missstände und führt zu erheblichen gesellschaftlichen Rückschritten. Frauen* werden in der Krise häufig wieder in die Rolle der Hausfrau und Mutter gedrängt, patriarchale Rollenmuster gewinnen an Stärke. Die kapitalistische Wirtschaftsweise stottert und produziert im Gefolge der Krise Millionen Erwerbslose. Nationale Grenzen in Europa erleben eine Neuauflage, mitsamt der mitunter tödlichen Folgen für jene, die sie nicht passieren können.
Doch all diese Entwicklungen legen keinesfalls nahe, vermeintliche Hintermänner einer großen Weltverschwörung herbei zu halluzinieren. Und es kann auch nicht bedeuten, nach dem starken Staat zu rufen oder sich auf die Herrschenden zu verlassen, deren primäres Ziel die Wiederherstellung des ausbeuterischen Status Quo ist.

Grenzenlose Solidarität
Denn Solidarität ist wertlos, wenn sie an Nationalgrenzen Halt macht, wenn sie nicht für die Geflüchteten an den europäischen Außengrenzen gilt. Solidarität ist sinnlos, wenn sie nur für diejenigen gilt, die schon ein Dach über dem Kopf haben und zu Hause bleiben können. Solidarität ist nutzlos, wenn Frauen* im Haushalt und auf der Arbeit mehrfach belastet sind oder mit der Kinderbetreuung alleingelassen in Existenznöte geraten. Die Coronakrise ist auch eine Reproduktionskrise!
Wir wollen eine andere Solidarität. Eine die niemanden vergisst oder ausschließt. Eine, die den Risikopatient*innen genauso gilt wie für Geflüchtete, Obdachlose oder Frauen*. Eine Solidarität für alle!

Kritik und die rote Linie
Eine kritische Betrachtung der Maßnahmen zu Corona ist wichtig, vor allem wenn tief in Grundrechte eingegriffen wird. Die Maßnahmen, mit denen einer Pandemie begegnet wird, sind schließlich nicht nur medizinisch begründet, sondern auch das Ergebnis politischen Handelns. Allerdings ziehen wir eine rote Linie, wenn Menschen den Corona-Virus und seine Konsequenzen leugnen und sich mit Rechten, Antisemit*innen und Anhänger*innen von Verschwörungsideologien auf eine Seite stellen. Längst sind Kräfte aus NPD und AfD, Reichsbürger*innen oder sogenannte QANON-Anhänger*innen Teil dieser Proteste geworden. Das Milieu erstreckt sich also von rechtsoffen bis hin in die extreme Rechte. In ganz Deutschland tragen Teilnehmer*innen NS- und Shoa-relativierende Abbildungen, antisemitische Symbole oder Schilder mit verschwörungsideologischen Parolen mit sich herum. Wer sich als Teilnehmer*in davon nicht distanziert, muss sich nicht wundern mit Rechten, Antisemit*innen und Anhänger*innen von Verschwörungsideologien in einen Topf geworfen zu werden. Das, was sich hier unter dem Deckmantel vermeintlicher Corona-Proteste formiert, erinnert an die rechte PEGIDA-Bewegung mit leicht verschobenem Themenschwerpunkt.
Was sich auf diesen selbsternannten Hygiene-Demos abspielt, hat nichts mit einem rationalen Diskurs über die Sinnhaftigkeit von Maßnahmen zu tun. Denn Corona ist keine Frage des Glaubens, sondern eine bittere Realität. Wer die hunderttausenden Toten ignoriert oder gar als Lüge abtut, leistet der Pandemie Vorschub. Wer sich über grundlegende Maßnahmen hinwegsetzt, die dem Schutz der Mitmenschen dienen, handelt unverantwortlich und unsolidarisch.

Solidarische Perspektiven statt Verschwörungstheorien!
Hier braut sich etwas gefährliches zusammen. Deshalb markieren wir die rote Linie. Covid-19 ist eine Bedrohung für das Leben. Dem müssen wir solidarisch und nicht egoistisch begegnen. Anstelle einer möglichst schnellen Rückkehr zum Normalbetrieb des fossilen Kapitalismus fordern wir eine gemeinwohl- und bedürfnisorientierte Transformation der Gesellschaft. Anstatt Milliarden in klimaschädliche Auto- und Luftfahrtkonzerne zu pumpen, fordern wir die Vergesellschaftung des Gesundheitssystems, die faire Verteilung von Sorgearbeit und konsequente Klimagerechtigkeit. Anstatt Rückkehr zum unmenschlichen Abschieberegime fordern wir grenzenlose Solidarität, Aufnahme und dezentrale europaweite Verteilung der Schutzsuchenden an der griechisch-türkischen Grenze und aus der Seenotrettung im Mittelmeer.
Wir sagen: Wer sich mit Verschwörungsideologien, Nazis und Antisemit*innen gemein macht, muss gestoppt werden.
Markiert die sogenannten Hygienedemos als das, was sie sind: Reaktionär, unsolidarisch und brandgefährlich. Für solidarische Perspektiven statt Verschwörungstheorien! Draw the red line!