Wir Aktivistinnen und Aktivisten des iL Rhein-Neckar (damals noch Kritisches Kollektiv), lehnen die sich seit Jahrhunderten durch vorherrschende Wirtschafts- und Gesellschaftskonzepte ziehende Vorstellung ab, dass der Mensch ein, seinem Nächsten gegenüber gleichgültiges, rücksichtsloses, gar feindliches Individuum ist, das es zu verwalten und zu verwerten gilt. Dabei erkennen wir den dialektischen Charakter der Aufklärung, welche die Durchsetzung dieser Vorstellung begleitete. Befreite sie den Menschen von alten Mythen und stellte ihn in den Mittelpunkt ihres Denkens, so rationalisierte sie zugleich die vorgefundenen Herrschaftsverhältnisse und führte hierdurch in ein Denkregime, das Ausbeutung und Unterdrückung legitimiert. Auf diese Weise bestehen Selbstentsagung und Entfremdung, Armut und Arbeitszwang fort in einer Zeit, in der die gesellschaftlichen Produktivkräfte längst ein angenehmes Leben für alle möglich machen.
Kapitalismus wie Staatssozialismus, faschistische Diktatur wie bürgerlichen Liberalismus sehen wir als unterschiedliche Varianten jenes Konkurrenzdenkens, das einzelne Gesellschaftsmitglieder, Gruppen und Staaten gegeneinander aufhetzt. Bei aller Unterschiedlichkeit in Art und Ausmaß des Leides, das diese Systeme produzieren, sind ihnen Macht-, Gewalt- und Unterdrückungsverhältnisse gemein, die ein Leben in persönlicher Freiheit und freiwilliger Assoziation unmöglich machen.
Wir aber wollen eine Gesellschaft, in der die Rechte des Menschen, die ihm allein aufgrund seiner Existenz zukommen, gewahrt und geschützt werden, in der dessen Wert und Würde unabhängig von Herkunft, Geschlecht, Hilfsbedürftigkeit, Weltanschauung, Lebensweise und Arbeitsleistung gesehen wird. Die Gesellschaft, um die es uns geht, gibt jedem Menschen die Freiheit, sich mit ihren oder seinen persönlichen Bedürfnissen und Vorstellungen, Stärken und Schwächen in ein gemeinsam gestaltetes Gemeinweisen einzubringen.
Darum widersetzen wir uns entschieden allen auftretenden Selbsterhaltungsmethoden und Auswirkungen des herrschenden Wirtschafts- und Gesellschaftssystems, wie Krieg und Nationalismus, staatlicher Repression und Terror, Indoktrination und Desinformation, der Unterdrückung sozialer, ethnischer oder wirtschaftlich nicht verwendbarer Minderheiten und der respektlosen und zerstörerischen Ausbeutung der Natur.
Uns ist bewusst, dass jedes System Rollen politischer und ökonomischer Macht bereitstellt, die notwendiger Weise von irgendjemandem übernommen werden. Gleichwohl gilt unsere Kritik insbesondere denjenigen, die das System aufgrund einer solch herausgehobenen Rolle stützen, radikalisieren oder aus Unterdrückung und Ausbeutung individuellen Profit ziehen. Sie richtet sich aber ebenso an weite Teile der Bevölkerung, die das System hinnehmen und mittragen.
Wir sind als Teil dieser Gesellschaft selbst geprägt durch ihre Erfahrungswerte und Normen und können daher keine völlig freie Alternative zum Bestehenden vorwegnehmen. Durch und in der Negation des Systems und seiner Auswirkungen, schaffen wir jedoch Freiräume für das Mögliche und Eindrücke des Anderen. Das Bedürfnis nach diesem wird hierdurch freigelegt und konkretisiert.
Die Durchsetzung des Anderen erfordert eine grundlegende Revolution der gesamtgesellschaftlichen Normen und Kräfteverhältnisse. Erst wenn die Vorstellung vom egoistischen bis feindseligen Menschen und dessen wirtschaftliche und gesellschaftliche Organisierung erschüttert ist, nicht mehr die eigene Unterordnung die Verachtung gegenüber dem Abweichenden nährt und Freiheit die Ermöglichung der persönlichen und gemeinschaftlichen Entfaltung bedeutet, kann eine wirklich menschliche Assoziation entstehen.
Der Staat steht als gewaltiges Instrument der Herrschaftsausübung im Zentrum unserer Kritik, darf jedoch nicht mit den Kräfteverhältnissen verwechselt werden, die er ausdrückt. Sowenig die freiheitlich-demokratische Grundordnung Ausbeutung, Unterdrückung und Ausgrenzung verhindert, so lässt sie doch auch Raum für deren weitgehende Überwindung und stellt sich gegen eine über die derzeitigen Zustände hinausgehende Gewalt- und Willkürherrschaft.
Gegründet im September 2003 als Widerstandsgruppe Worms-Wonnegau, inspiriert von den Massenblockaden der Resist-Kampagne als Aktionen zivilen Ungehorsams gegen den völkerrechtswidrigen Angriffskriegs auf den Irak, haben wir unsere Positionen in Analyse, Kritik und Praxis stetig weiterentwickelt. Wir sind kein avantgardistischer Zirkel, der die Wahrheit für sich gepachtet hat, sondern ein offenes Projekt, das fragend voranschreitet mit dem Willen, bei allen Zugeständnissen an die Verhältnisse und uns selbst, das Richtige zu tun.
Wir verorten uns innerhalb der interventionistischen, emanzipatorischen Linken und treten ein für einen ebenso gewaltfreien wie entschlossenen Widerstand von unten, der uns am geeignetsten scheint, die herrschenden Macht-, Gewalt- und Unterdrückungsverhältnisse nicht zu replizieren, sondern erfolgreich zu durchqueren.
DIe iL Rhein-Neckar ist selbst herrschaftsfrei aufgebaut. Entscheidungen werden in einem offenen Arbeitskreis diskutiert, in gegenseitigem Einvernehmen getroffen und im Rahmen des jeweiligen faktischen Konsenses umgesetzt.