Redebeitrag zum vierten Jahrestag des rassistischen Anschlags von Hanau

Bilder der ermordeten des Anschlags von Hanau auf dem Mannheimer Marktplatz

Am 19.2. jährte sich der rassistische Anschlag von Hanau zum vierten Mal. Aus diesem Grund beteiligten wir uns an einer von DIDF und Mannheim gegen Rechts organisierten Gedenkkundgebung auf dem Mannheimer Paradeplatz. Den Redebeitrag, den wir dort hielten, dokumentieren wir hier.

Liebe Freund*innen,

erinnern heißt verändern. Dieser Satz fällt immer wieder, wenn, wie heute, über den rassistischen Anschlag gesprochen wird, der heute vor vier Jahren in Hanau neun Menschen das Leben nahm. Erinnern heißt verändern: Das ist eine Aufforderung. Eine Aufforderung auf der einen Seite, zusammen zu kommen, um zu trauern und uns zu erinnern an die Menschen, die der rechte Terror uns genommen hat. An Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz, Said Nesar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Hamza Kurtović, Vili Viorel Păun, Fatih Saraçoğlu, Ferhat Unvar und Kaloyan Velkov.

Eine Aufforderung auf der anderen Seite aber, dieses Gedenken nicht für sich stehen zu lassen, sondern als ein Politisches zu begreifen. Politisch in dem Sinne, dass die Konsequenz aus den Morden von Hanau darin liegen muss, die Verhältnisse anzugreifen, durch die sie erst möglich würden. Denn Hanau, das war kein Einzelfall, keine traurige, doch für sich stehende Tat eines Verwirrten. Der Anschlag steht viel mehr in einer Reihe rassistischer und antisemitischer Morde, die in einem Deutschland, dass nach dem Ende des Nazi-Faschismus nie konsequent entnazifiziert wurde, eine ungebrochene und blutige Tradition haben. Hanau war kein Einzelfall, Hanau war die brutale Eskalation eines rassistischen Klima, das migrantische Menschen in diesem Land tagtäglich erleben. Das ist ein Klima, in dem vom "Im-großen-Stile-Abschieben" Scholz bis zur AfD mit ihren Deportationsplänen die Anwesenheit migrantisierter Personen als Problem verhandelt wird, dem mit rassistischen Abschiebemaßnahmen beizukommen ist. In dem der Rechtsruck von faschistischen Kräften immer weiter vorangetrieben wird. In dem als nicht-deutsch markierte Menschen in jedem Bereich ihres Lebens - von der Schule bis zum Arbeitsplatz - Diskriminierung ausgesetzt sind und oft die schlecht bezahltesten, am meisten ausgebeuteten Jobs übernehmen müssen. In dem rassistische Polizeikontrollen Normalität sind, in dem die Polizei - wie zuetzt am 23.12. in Mannheim-Schönau - immer wieder migrantische Menschen tötet. Hanau: Das war deutsche Leitkultur!

Das der Staat und sein Rassismus Teil des Problems sind, das zeigte zuletzt auch der Bericht des hessischen Untersuchungsausschusses zum Anschlag von Hanau. Allein schon sein Zustandekommen lag weniger in dem Interesse der Landespolitik an einer Aufklärung als in dem Druck durch die Angehörigen der ermordeten begründet. Sein Ergebnis ist entsprechend eher von dem Streben nach parteipolitischer Schadensbegrenzung als dem nach tatsächlichen Konsequenzen aus der Möglichkeit der Morde geprägt. Manche Versagenspunkte des Staates werden zwar benannt, doch folgt aus diesen rein gar nichts. Es wird festgestellt, dass Notrufe in der Tatnacht nicht entgegen genommen wurden, doch Jürgen Fehler, zum Zeitpunkt des Anschlags der Chef der verantwortlichen Polizeidirektion bleibt im Amt. Das gleiche gilt für seinen Vorgesetzter Roland Ullmann, Chef des Polizeipräsidiums Südosthessen, der wenige Monate später zum sogar zum hessischen Polizeipräsidenten befördert wurde. Dafür steht die hessische Polizei: Belohnungen für Versagen gegenüber rechtem Terror!

Auch daraus, dass der Täter sich in Besitz einer Waffe befinden durfte, obwohl er sich zuvor immer wieder rassistisch und antisemitisch geäußert hatte, wird im Bericht keine Konsequenzen gezogen. Ebensowenig thematisiert wird, dass 13 der 20 in der Tatnacht eingesetzten SEK-Beamten Mitglieder einer rechtsextrem Chatgruppe waren. Wir sehen also: Der Bericht des Untersuchungsausschusses ist eine einzige Farce und bringt uns kaum näher an eine Aufklärung der Verantwortungsträger für die Ermöglichung des Anschlags vom 19.2. Nur logisch ist es, dass der Staat sich hinter seinen von Rassisten durchsetzten Polizeiapparat stellt, dass es Politiker*innen, deren Parteien für Abschiebungen und Abschottung an den EU-Außengrenzen stehen, nicht ernst meinen mit der Aufklärung rassistischen Terrors.

Erinnern heißt verändern, und verändern, das können wir nur selbst. Weder auf Aufklärung durch den Staat noch auf Schutz durch die Polizei vor einer Wiederholung der Tat von Hanau können wir uns verlassen. Unser Gedenken an die Toten des 19. Febraur trägt deshalb eine Aufforderung in sich: Nehmen wir die Aufklärung selbst in die Hand. Hören wir nicht auf Fragen zu stellen. Seien wir die Sicherheit für einander, die der Staat weder bieten kann noch will. Organisieren wir Selbstschutz, kämpfen wir gegen den Rassismus der Gesellschaft und den mörderischen Rechtsruck. Erinnern heißt verändern: Stehen wir zusammen, für eine offene und solidarische Gesellschaft der Vielen, in der die Angst vor rassistischer Gewalt ein Ende findet.